Das Wort »Bibel« kommt von dem griechischen Wort biblos, das »Buch« bedeutet. Die Bibel besteht aus einem einzigen Band, der eine Sammlung von 66 einzelnen Büchern umfasst – eine ganze Bibliothek. Da die Heilige Schrift aus so vielen Büchern besteht, stellt sich die Frage: Woher wissen wir, dass auch die richtigen Bücher in diese Sammlung aufgenommen wurden? Diese Frage betrifft die Kanonizität.
Die Kontroversen über den Kanon
Es gibt viele Missverständnisse über den Kanon. Kritiker argumentieren, dass es angesichts der großen Anzahl von Büchern, die in die Bibel hätten aufgenommen werden können – angeblich mehr als 2000 –, durchaus wahrscheinlich ist, dass einige Bücher fehlen, die eigentlich Teil des Kanons sein sollten, während andere, die sich nicht für die Aufnahme qualifizierten, ihren Weg in die Bibel fanden. Es ist jedoch so, dass die überwältigende Mehrheit der Bücher, die für die Aufnahme in den Kanon infrage kamen, von der frühen Kirche schnell und klar verworfen wurde, weil jene Bücher offensichtlich gefälscht waren.
Im 2. Jahrhundert schrieben gnostische Häretiker, die apostolische Autorität beanspruchten, ihre eigenen Bücher und verbreiteten sie überall. Diese wurden jedoch nie ernsthaft für die Aufnahme in den Kanon in Betracht gezogen, weshalb es irreführend ist zu sagen, dass es mehr als 2000 potenzielle Kandidaten gab. Betrachtet man den kirchengeschichtlichen Auswahlprozess, der äußerst vorsichtig und sorgfältig erfolgte, so stellt man fest, dass nur drei der ausgeschlossenen Dokumente ernsthaft für die Aufnahme in das Neue Testament in Betracht gezogen wurden: die Didache, der Hirte des Hermas und der erste Brief des Clemens von Rom. Diese Texte stammen aus dem späten 1. oder frühen 2. Jahrhundert, und bei ihrer Lektüre wird deutlich, dass sich die Verfasser bewusst waren, dass ihr Werk subapostolisch und postapostolisch war. Sie unterwarfen sich also der Autorität der Apostel und ihrer Schriften.
Die ausgeschlossenen Texte sind wichtig und nützlich für die Kirche – und das waren sie auch während der gesamten Kirchengeschichte –, aber es war nie strittig, ob sie in den Kanon aufgenommen werden sollten. Die meisten Kontroversen über den Kanon in den früheren Jahrhunderten betrafen nicht die abgelehnten, sondern die aufgenommenen Schriften. Zeitweise wurde darüber diskutiert, ob der Hebräerbrief, der 2. Petrusbrief, der 2. und 3. Johannesbrief, der Judasbrief und die Offenbarung des Johannes aufgenommen werden sollten. Um die kanonische Echtheit zu bestimmen, führte die Kirche einen dreifachen Test durch. Es mag irritieren, dass es so etwas wie ein Auswahlverfahren gab, aber dessen Gründlichkeit sollte uns beruhigen.
Merkmal 1: Apostolischer Ursprung
Merkmal 2: Aufnahme durch die Urgemeinde
Das zweite Kriterium für die Aufnahme in den Kanon war die Rezeption durch die Urgemeinde. Der Epheserbrief beispielsweise erfüllt dieses Kriterium. Es wird davon ausgegangen, dass Paulus diesen Brief für einen größeren Adressatenkreis als nur die Gemeinde in Ephesus bestimmt hat. Er wurde als Rundbrief geschrieben, der an alle Gemeinden in der Region um Ephesus verteilt werden sollte. Das gilt nicht nur für den Epheserbrief, sondern auch für die anderen Briefe des Paulus. Auch die Evangelien waren in den Gemeinden des 1. Jahrhunderts weitverbreitet. Im Sinne der historischen Aufklärung berücksichtigte die Kirche bei ihren Überlegungen, was in den Kanon aufgenommen werden sollte, ob ein bestimmter Text schon früh anerkannt und ob dieser als autoritativ zitiert worden war. Im ersten Brief des Clemens, der nicht als kanonisch anerkannt wurde, zitiert Clemens den Brief des Paulus an die Korinther. Dies zeigt, dass der erste Korintherbrief von der frühen christlichen Gemeinde als verbindlich anerkannt worden war. Auch in der Bibel selbst erwähnt der Apostel Petrus die paulinischen Briefe als Teil der Heiligen Schrift (vgl. 2 Petr 3,16).
Merkmal 3: Übereinstimmende Lehre
Das dritte Merkmal der Kanonizität war das umstrittenste. Die Bücher, die als apostolisch oder als von einem Apostel autorisiert galten und auch von der frühen Kirche rezipiert wurden, bildeten den Kern des Neuen Testaments und wurden ohne große Kontroverse in den Kanon aufgenommen. Es gab jedoch einige Bücher, über die man sich nicht gleich einigen konnte. Dabei ging es unter anderem darum, ob ihre Lehren mit den Hauptbüchern übereinstimmten. Der Hebräerbrief warf einige dieser Fragen auf. Ein Teil dieses Briefes, Hebräer 6, ist oft so interpretiert worden, dass die von Christus Erlösten ihr Heil verlieren können – eine Lehre, die nicht mit der übrigen biblischen Lehre übereinstimmt. Dieses Kapitel kann jedoch so ausgelegt werden, dass es mit dem Rest der Heiligen Schrift konsistent ist. Die Diskussion über den Hebräerbrief wurde schließlich in eine andere Richtung gelenkt, als man Paulus die Autorenschaft zuschrieb. Die Kirche der ersten Jahrhunderte glaubte, dass der Hebräerbrief von Paulus stammte, und nahm ihn deshalb in den Kanon auf. Ironischerweise gibt es heute nur wenige Gelehrte, die glauben, dass Paulus den Hebräerbrief geschrieben hat. Noch weniger würden jedoch bestreiten, dass er in den Kanon gehört.
Nach römisch-katholischem Verständnis beruht die Bildung des Kanons auf der Autorität der Kirche, während sie aus protestantischer Sicht in der Vorsehung Gottes gründet. Abschließend möchte ich betonen, dass ich davon überzeugt bin, dass die Kirche ungeachtet der historischen Überprüfung genau das getan hat, was Gott von ihr wollte und dass wir mit gutem Grund glauben können, dass die richtigen Bücher in den Kanon der Heiligen Schrift aufgenommen wurden.