Wie können Christen wachsen? Diese Frage ruft sofort die unterschiedlichsten Gefühle in uns hervor. Einige fühlen sich schuldig. Wir wachsen nicht – und das wissen wir. Darum sind wir von anhaltenden Schuldgefühlen gelähmt, die nur noch mehr zu unserem geistlichen Stillstand beitragen. Bei anderen erwacht die Sehnsucht. Wir möchten von Herzen gern mehr wachsen, als wir das derzeit tun.
Wieder andere unter uns – wenn wir ehrlich sind – werden bei der Frage nach dem geistlichen Wachstum selbstgefällig. Wir sind recht zuversichtlich, dass mit uns alles in Ordnung ist. Allerdings beruht diese Selbsteinschätzung hauptsächlich darauf, dass wir uns mit anderen vergleichen – und dass wir kaum verstehen, was uns in unserem Leben als Christ wirklich antreibt.
Bei anderen wiederum ruft diese Frage einen unterschwelligen Zynismus hervor. Wir haben es versucht – oder zumindest meinen wir das. Wir haben eine Reihe von Methoden ausprobiert, eine Menge Bücher gelesen und diverse Konferenzen besucht. Letztendlich haben wir allerdings immer noch das Gefühl, auf der Stelle zu treten. Beim Wachstum in der Gnade schaffen wir es einfach nicht, in die Gänge zu kommen.
Keiner von uns stellt infrage, ob es nötig ist, zu wachsen. Wir erkennen das klar in der Bibel: »Wachset aber in der Gnade und Erkenntnis unseres Herrn und Heilands Jesus Christus« (2Petr 3,18). »Lasst uns aber … wachsen in allen Stücken« (Eph 4,15). Außerdem sehen wir nicht nur in der Bibel, dass wir Wachstum nötig haben, sondern auch in unserem eigenen Herzen. Wenn wir uns auf die schmerzliche Übung einer ehrlichen Selbstprüfung einlassen, entdecken wir überrascht, dass so vieles in unserem Leben auf subtile Weise der Quelle des Ichs entspringt – sogar vieles von dem, wodurch wir für die Welt um uns herum ein Segen sind. Wir spenden, wir setzen uns ein, wir bringen Opfer – aber nicht aus jenen großherzigen Motiven, die wir anderen Menschen (oder sogar Gott und uns selbst) präsentieren, sondern in selbstsüchtiger Absicht. Und bis jetzt haben wir nur über das nachgedacht, was vor den Augen der anderen geschieht. Was aber ist mit der hässlichen Seite unseres Lebens, die sich zeigt, wenn niemand uns sieht? Wie können wir die Sünden töten, die wir in der Finsternis begehen?
Daher ist die Frage nicht, ob wir wachsen müssen, sondern wie. Bei jedem wiedergeborenen Christen wird irgendwo zwischen all diesen unterschiedlichen Gefühlsreaktionen auch immer das Samenkorn eines aufrichtigen Wunsches nach Wachstum zu finden sein.
Doch wie geschieht es? Ganz grundsätzlich passiert Veränderung, wenn wir tiefer gehen. Manche Christen denken, dass Veränderung durch äußere Verbesserung erreicht wird. Demgemäß müssen wir uns mehr und mehr so verhalten, dass wir mit einer moralischen Norm übereinstimmen – sei es das biblische Gesetz, die Gebote Jesu, das Gewissen oder was auch immer. Andere meinen, Veränderung geschieht hauptsächlich über den Verstand, durch die Anhäufung von Wissen und indem wir theologische Lehren immer umfassender und gründlicher verstehen. Wieder andere rechnen damit, dass Veränderung vor allem durch unser Fühlen und Erleben geschieht – wenn unsere Anbetung Gottes immer stärkere Emotionen in uns hervorruft.
Ich behaupte, dass alle drei Elemente zu einer gesunden christlichen Entwicklung dazugehören. Wenn eines davon fehlt, sind wir unausgewogen und werden nicht wachsen. Doch echtes Wachstum geht über all das hinaus. In Christus zu wachsen bedeutet nicht hauptsächlich Verbessern, Anhäufen oder Erleben, sondern Vertiefen. Die Vorstellung des Vertiefens bedeutet auch, dass du bereits hast, was du brauchst. Das Wachstum als Christ besagt also, dein Handeln, Reden und sogar deine Gefühle in Übereinstimmung mit dem zu bringen, was du in Wirklichkeit bereits bist.