Der Ausdruck »gerechtfertigt durch Gnade« und das Konzept der Rechtfertigung an sich sorgt mitunter für Verwirrung bei Christen. Handelt es sich dabei um einen fortschreitenden Prozess oder ein einmaliges Ereignis? Wie genau geschieht die Rechtfertigung? Michael Reeves gibt uns einen Einblick in die Lehre der Rechtfertigung und erklärt, was es bedeutet, gerechtfertigt zu werden:
Gerechtfertigt zu werden heißt, ein Sünder zu sein, über dem Gott aus Gnade das Urteil »gerecht« ausgesprochen hat. Es bedeutet, für gerecht erklärt zu werden, nicht aber einen Veränderungsprozess, der nach und nach gerecht macht. Gerechtfertigt zu sein, meint niemals, »gerechter zu werden«. »Rechtfertigung« ist ein juristischer Begriff; Richter verwenden diese Sprache im Gerichtssaal, wenn sie das Urteil »schuldig« oder »unschuldig« fällen.
Überlege mal, wie wir den Begriff im Alltag gebrauchen. Angenommen, dein Vater erwischt dich bei etwas, das ein bisschen suspekt aussieht. Da er ein fairer Mensch ist, schreit er dich nicht gleich an, sondern sagt: »Kannst du mir das bitte erklären? Kannst du irgendwie rechtfertigen, was du da eben getan hast?« Was will er mit dieser Frage? Er bittet dich nicht, die Zeit zurückzudrehen und das, was du getan hast, besser zu machen. Das ist mit »rechtfertigen« nicht gemeint. Er bittet dich, dein Tun zu verteidigen – nachzuweisen, dass es richtig und vernünftig war, selbst wenn es nicht so aussah. Bei Rechtfertigung geht es um eine Einschätzung, einen Beschluss, ein Urteil.
Das ist in der Bibel nicht anders. Wir sind gerechtfertigt, wenn Gott das Urteil verkündet, dass wir vor ihm die Stellung eines Gerechten haben. In der Schrift ist nicht derjenige ein Gerechter, der viele gute Werke tut oder der niemals gesündigt hat. Paulus schreibt: »Dem aber, der nicht mit Werken umgeht, aber an den glaubt, der den Gottlosen gerecht macht, dem wird sein Glaube gerechnet zur Gerechtigkeit« (Röm 4,5). Gerecht sind nicht jene, die ihr Leben auf die Reihe bekommen haben, sondern die gottlosen Sünder, über die Gott das Urteil »gerecht« gesprochen hat. Der Gerechtfertigte ist glücklich zu preisen, weil ihm »Gott zurechnet die Gerechtigkeit ohne Zutun der Werke« (V. 6).
Paulus belegt seine Aussage dann anhand von Davids Worten aus Psalm 32:
»Selig sind die, denen die Ungerechtigkeiten vergeben und denen die Sünden bedeckt sind! Selig ist der Mann, dem der Herr die Sünde nicht zurechnet!« (V. 7–8; zitiert aus Ps 32, 1–2)
David hatte erkannt: Bei diesen Menschen, die glücklich zu preisen sind, handelt es sich nicht um Leute, die keine Sünde haben. Glücklich zu preisen ist der, dessen Sünden »bedeckt sind« und dem der Herr seine Sünde nicht zurechnen wird.