1. Die Pilgerreise – eines der berühmtesten Bücher der Welt
Mehr als zwei Jahrhunderte nach ihrer Veröffentlichung war Die Pilgerreise nach der King-James-Bibel das meistgelesene und bedeutendste Buch in protestantischen Haushalten. Es wurde in über zweihundert Sprachen übersetzt, darunter allein achtzig in Afrika.
2. Der Titel des Buches birgt eine kleine Besonderheit
Wenn wir über das Buch sprechen, sprechen wir oft von der Pilgerreise. John Bunyan nannte das Buch jedoch The Pilgrim’s Progress (Die Pilgerreise). Dieser feine Unterschied ist bedeutend: Ohne den bestimmten Artikel könnte „Pilgrim“ im Englischen als Eigenname einer bestimmten Figur verstanden werden. Mit „The“ wird hingegen jeder Pilger angesprochen – vergleichbar mit der Bezeichnung „der/ein Christ“. Der vollständige Titel des ursprünglichen Buches lautete übrigens: Die Pilgerreise von dieser in die kommende Welt, überliefert in Form eines Traumes.
3. Die Pilgerreise besteht aus zwei separaten Geschichten
Die meisten Menschen kennen nur die Geschichte von Christian, der aus der Stadt der Zerstörung zur himmlischen Stadt reist. Dieses erste Buch erschien 1678. Sechs Jahre später veröffentlichte Bunyan eine Fortsetzung, in der Christians Frau Christiane und ihre vier Söhne dieselbe Reise antreten. Bis 1728 wurden die beiden Teile getrennt veröffentlicht – erst 44 Jahre nach der Erstveröffentlichung des zweiten Buches wurden sie zu einem Band zusammengeführt.
4. Die Pilgerreise entstand im Gefängnis
Die Forschung ist sich einig, dass der erste Teil des Buches – jener, an den die meisten Menschen denken – größtenteils im Gefängnis von Bedford geschrieben wurde. Bunyan war ein baptistischer Prediger in einer Zeit, in der die anglikanische Kirche die einzige gesetzlich erlaubte Kirche in England war. Da er als Nonkonformist ohne staatliche Genehmigung predigte, wurde er zwölf Jahre lang inhaftiert. Um seine Familie zu unterstützen, stellte er im Gefängnis Schnürsenkel her. Zudem schnitzte er heimlich eine Flöte aus einem Tischbein.
5. Die Pilgerreise – ein Werk voller Widersprüche
Einerseits ist Die Pilgerreise ein Buch für einfache Leute, das über Jahrhunderte hinweg von Eltern ihren Kindern vorgelesen wurde. Es diente in erster Linie der geistlichen Erbauung, nicht der Unterhaltung. Andererseits ist es ein literarisch anspruchsvolles Werk, das Literaturwissenschaftler immer wieder fasziniert. Es vereint zahlreiche literarische Gattungen und bietet eine Fülle unterschiedlicher Interpretationsmöglichkeiten.
6. Ein Meisterwerk der Erzählkunst
Auf der ersten Ebene spricht uns Die Pilgerreise als einfache Erzählung an. Bunyan beherrschte alle drei wesentlichen Elemente einer guten Geschichte: Schauplätze, Charaktere und Handlung. Seine Beschreibungen lassen die Orte lebendig werden – viele basieren auf realen Schauplätzen in seiner Heimatstadt. So soll der berühmte Sumpf der Verzweiflung auf einem echten Sumpf in der Nähe seines Hauses beruhen. Bunyans Charakterzeichnungen sind so eindringlich, dass sich viele Leser an das Buch als eine Galerie denkwürdiger Figuren erinnern.
7. Eine Handlung mit vielfältigen Facetten
Bunyans detailreiche Schauplätze und Charaktere lassen vermuten, dass die Handlung kaum mithalten könnte – doch das Gegenteil ist der Fall. Die Pilgerreise bietet eine dreifache Erzählstruktur: Sie ist eine Reisegeschichte, die den klassischen Topos der Gesellschaft widerspiegelt. Gleichzeitig ist sie eine Entdeckungsreise, bei der der Protagonist seine alte Welt verlässt, um die himmlische Stadt zu erreichen. Und nicht zuletzt ist sie ein spannendes Abenteuer, das den Leser mitreißt.
8. Die Pilgerreise als Allegorie
Bunyans Werk muss nicht nur als Erzählung, sondern auch als Allegorie gelesen werden. Es gilt als die berühmteste Allegorie der Weltliteratur – alle Orte, Figuren und Ereignisse haben eine tiefere, geistliche Bedeutung. Diese Ebene ersetzt nicht die wörtliche Geschichte, sondern ergänzt sie. Wie ein Rätsel fordert sie den Leser heraus, die symbolischen Bedeutungen hinter den Details zu entschlüsseln. Gerade diese allegorische Dimension macht das Buch zu mehr als nur einer großartigen Geschichte.
9. Fast immer mit Illustrationen veröffentlicht
Obwohl Bunyan Die Pilgerreise nicht als illustriertes Buch konzipierte, wurde es fast immer mit Bildern gedruckt. Dies zeugt von der Kraft seiner Erzählkunst – seine Beschreibungen sind so eindringlich, dass sie Künstler über Jahrhunderte inspirierten. Die Illustrationen meiner Kindheitsausgabe, die meiner Mutter gehörte, sind für mich bis heute untrennbar mit der Geschichte verbunden.
10. Die Bibel als ständiger Begleiter
Ein wesentlicher Grund für die anhaltende Beliebtheit der Pilgerreise unter evangelikalen Lesern ist ihre tiefe Verwurzelung in der Bibel. Diese Eigenschaft macht das Buch aber auch für Literaturwissenschaftler spannend. Charles Spurgeon bemerkte einst, Bunyan sei wie eine wandelnde Bibel: „Sticht man in ihn hinein, fließt die Essenz der Bibel aus ihm heraus.“ Ein Zeugnis seines tiefen Glaubens und seiner beeindruckenden Schriftkenntnis.