Carl Trueman

Hilfsmittel in einer Zeit gesellschaftlicher Veränderungen

Hilfsmittel in einer Zeit gesellschaftlicher Veränderungen

Eine Versuchung in einer Zeit enormer Veränderungen besteht darin, sich auf die unmittelbaren Herausforderungen für den christlichen Glauben zu konzentrieren. Nun ist es sicherlich nicht falsch, die dringendsten Probleme, mit denen die Kirche konfrontiert ist, in den Vordergrund zu stellen und sie mit einer gewissen Dringlichkeit anzugehen. Der Ablasshandel zum Beispiel war 1517 ein großes Problem und es war richtig, dass Luther sich darauf konzentrierte, anstatt seine Zeit damit zu verbringen, über die Homo-Ehe zu schreiben, die im frühen 16. Jahrhundert keinerlei Bedeutung hatte.

Dennoch besteht hier eine Gefahr: Wir können uns so sehr mit spezifischen Bedrohungen beschäftigen, dass wir das große Ganze der christlichen Wahrheit aus den Augen verlieren. Christliche Wahrheit besteht nicht aus einer Reihe isolierter, unverbundener Behauptungen, sondern stellt ein kohärentes Ganzes dar; das ist eine wichtige Tatsache. Die Lehre der Kirche über Geschlecht, Ehe und Sex ist Teil ihrer Lehre über den Menschen. Die Lehren von Schöpfung, Sündenfall, Erlösung und Wiederherstellung sind wichtige Grundlagen für die Bewältigung der besonderen Herausforderungen unserer Zeit.

Wenn die moderne Sexual- und Identitätspolitik von tieferen Vorstellungen vom Selbst abhängt, dann müssen wir zunächst wissen, was die christliche Sicht des Selbst ist, um uns mit ihnen auseinandersetzen zu können. Und da die Bibel lehrt, dass das menschliche Selbst nach dem Bilde Gottes geschaffen ist, brauchen wir ein gutes Verständnis der Lehre von Gott. Wir können also im aktuellen kulturellen Umfeld nur dann bestehen und die spezifischen Herausforderungen vor uns angehen, wenn wir tief und breit in Gottes Wahrheit gegründet sind.

»Wenn die moderne Sexual- und Identitätspolitik von tieferen Vorstellungen vom Selbst abhängt, dann müssen wir zunächst wissen, was die christliche Sicht des Selbst ist, um uns mit ihnen auseinandersetzen zu können.«
Das Chaotische an unserer Zeit ist also keine Entschuldigung dafür, die Aufgabe der Kirche aufzugeben, ihren Leuten den ganzen Ratschluss Gottes zu lehren. Wenn überhaupt, dann sollte solch ein Moment eine Gelegenheit zur Prüfung sein, ob sie dies tut, um notwendige Veränderungen im pädagogischen Ansatz vorzunehmen. Sie sollte dafür sorgen, dass Christen bewusst in der Wahrheit gegründet werden. Wie bei der Gemeinschaft kann der Ansatz dazu je nach Ort und Gemeinde variieren, aber ich würde vorschlagen, dass die Verwendung eines guten historischen Bekenntnisses oder Katechismus ein hilfreicher Anfang ist. Langlebigkeit ist ein gutes Gegenmittel für Bedeutungslosigkeit: Wenn ein Glaubensbekenntnis oder Katechismus seit Jahrhunderten vorliegt und sich als nützlich erwiesen hat, dann kann man einigermaßen sicher sein, dass nicht lauter irrelevante oder nebensächliche Sachen darin stehen, sondern Dinge, die für Christen von anhaltender Bedeutung sind.

In meiner eigenen Tradition, der Presbyterianischen Kirche, wurden in den 1640ern das Westminster Bekenntnis und der Große sowie Kleine Katechismus als umfassende Abhandlungen über das Wesentliche im christlichen Glauben verfasst. Über die Jahre sind sie hier und da überarbeitet worden. So wurde beispielsweise die amerikanische Fassung revidiert, um das sogenannte »Establishment Principle« zu beseitigen (die positive Verbindung zwischen Staat und Kirche) und die Texte mit der amerikanischen Sicht in Einklang zu bringen. Doch der allergrößte Teil des Textes von Westminster ist unverändert geblieben. Jede Gemeinde, die ihn als Leitfaden für den »ganzen Ratschluss Gottes« verwendet, findet darin enorme Hilfe, um Zentrales erkennen zu können. Manche mögen einwenden, dass solche historischen Texte heute nur noch von begrenztem Nutzen sind, wenn die Gesellschaft uns Themen wie die Homo-Ehe oder Transgenderismus aufdrängt. Da ist etwas Wahres dran: Das Westminster Bekenntnis geht nicht so direkt auf solche Fragen ein, wie es Pastoren vielleicht tun sollten. Aber es lehrt positiv, was der Mensch ist und was Wesen und Bestimmung der Ehe ist. Damit findet man eine solide Grundlage in allgemeinen Begriffen, auf der die Kirche die Herausforderungen der Gegenwart im größeren Rahmen ewiger christlicher Wahrheit angehen kann. Mithilfe solcher Bekenntnisse erkennen wir also nicht nur, dass bestimmte Dinge falsch sind, sondern auch, warum sie im Hinblick auf Gottes Wahrheit als Ganzes so sind. Unter den gegenwärtigen Umständen erscheint ein pädagogischer Ansatz, der sich an diesen Bekenntnissen orientiert, für jedes Gemeindeleben äußerst wünschenswert.

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