Timothy Keller

Auf den Geist säen

Auf den Geist säen

In Galater 6,7 spricht Paulus eine ernste Warnung aus. Er benutzt dazu eines der bekanntesten Phänomene in der Geschichte der Menschheit – das Säen und Ernten. Manche nennen es das »Gesetz des Ertrags«. »Denn was der Mensch sät, das wird er ernten« (V. 7). Für den Landwirt wie den Gärtner ist das ein absolutes Gesetz. Paulus will unseren Blick offenbar auf (mindestens) zwei Aspekte lenken. Erstens: Man erntet immer das, was man gesät hat. Wer Tomaten ernten will, darf keinen Weizen säen. Und zweitens: Was man gesät hat, wird man auch ernten. Es mag erst so aussehen, als würde der Same nutzlos in der Erde liegen, aber er wird aufgehen. Die Aussaat entscheidet über die Ernte.

Und dieses Gesetz des Ertrags von Saat und Ernte ist im moralischen und religiösen Bereich ebenso unaufhaltsam wie in der Landwirtschaft. »Gott lässt sich nicht spotten« (V. 7). Man kann ihn nicht auf die leichte Schulter nehmen. »Wer auf sein Fleisch sät, der wird von dem Fleisch das Verderben ernten« (V. 8). Nein, das heißt nicht, dass Gott rachsüchtig ist und nur darauf wartet, es uns heimzuzahlen. Das Bild vom Säen und Ernten deutet vielmehr auf einen Prozess hin, der etwas Natürliches, Organisches an sich hat. Nicht nur das biologische, sondern auch das moralische Universum hat seine Gesetzmäßigkeiten. So wie eine fettreiche Ernährung unser Herz stresst und schädigt, führt das Sündigen gegen Gott zu Folgen im moralischen bzw. geistlichen Bereich. Wer sparsam sät, erhält nur eine kleine Ernte (und verarmt). Wer zu viel Fett zu sich nimmt, »erntet« einen Herzschaden und frühen Tod. Und wenn ich ständig meiner sündigen Natur nachgebe, ernte ich geistliches Siechtum und Zerstörung. Das Wort »Verderben« kann auch durch »Zerfall« ersetzt werden. Paulus sagt hier, dass Sünde zu Zerbrechen und Auflösung führt.

»Man erntet immer das, was man gesät hat.«

Der Zerfall, den wir ernten, kommt durch die Schädigung der »Struktur« bzw. der »Substanz« des moralischen Universums, ähnlich wie bestimmte Verhaltensweisen das Gefüge unseres Körpers ruinieren. Es gibt hier tausend Varianten. Galater 6,7–8 ist in gewissem Sinne eine Zusammenfassung des gesamten Buches der Sprüche! Wer Unehrlichkeit sät, schädigt seine Beziehungen und landet schließlich in dem »Verderben« der Einsamkeit. Die Saat von Neid und Eifersucht zerreißt das Gewebe der Zufriedenheit und führt zu dem »Verderben« der Bitterkeit. Und so weiter und so fort.

Was wir auch säen, wir werden es ernten. Sünde führt immer zu Verderben, nie zu Freude und Leben. Und die Ernte ist uns gewiss. Die Folgen der Sünde werden kommen, wir können sie nicht verhindern. Doch wir müssen diese Warnung von Paulus im Licht des gesamten Galaterbriefs lesen. Er meint etwas ganz Bestimmtes, wenn er davon schreibt, dass man »auf sein Fleisch sät« (V. 8). Er hat bereits aufgezeigt, dass unsere sündige Natur (das sarx) der Teil unseres Herzens ist, der unser Leben selbst bestimmen will, indem er unser Ersatz-Erlöser wird. Es geht um jenen Teil in uns, der sich dem Evangelium der Gnade widersetzt und sich seine Gerechtigkeit immer wieder selbst verdienen will.

»Nicht nur das biologische, sondern auch das moralische Universum hat seine Gesetzmäßigkeiten.«

Den ganzen Brief hindurch hat Paulus gezeigt, dass es möglich ist (und oft tatsächlich geschieht), dass Christen in irgendeine Form der Sklaverei unter der Sünde zurückfallen und sich in dieser Phase von dem Evangelium entfernen. Aber sie bleiben immer noch Christen, die allein aus Gnade erlöst sind. Paulus warnt uns jedoch auch, dass dann, wenn wir das Evangelium verwerfen und in aller Form zur Werkgerechtigkeit überlaufen, die Sklaverei und Zerstörung vollkommen sein werden.

Wahrscheinlich hat er hier beide Fälle im Hinterkopf. Wenn wir als Christen das Evangelium links liegen lassen und stattdessen »im Fleisch leben« und versuchen, uns unsere Erlösung auf andere Weise zu verdienen, werden wir ein Leben ohne Freude und Kraft haben. Und wenn jemand das Evangelium regelrecht ablehnt und völlig »im Fleisch lebt« und etwas anderes als Christus seinen Erlöser sein lässt und ihm dient, wird er zum Schluss nicht das ewige Leben ernten, sondern die ewige Verdammnis.

Die Warnung ist scharf, aber die Verheißung ist wunderbar. »Wer aber auf den Geist sät, der wird von dem Geist das ewige Leben ernten« (V. 8). Wenn wir im Geist leben, werden wir schon in unserem irdischen Leben die Gewissheit und Erfüllung, das Angenommensein und die Freude des Lebens des Christen erfahren und dürfen wissen, dass dies nach dem Tod ungebrochen weitergehen wird.

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