R.C. Sproul

Atheismus und die Angst vor Gott

Atheismus und die Angst vor Gott

Die Schrift lehrt uns, dass der gefallene Mensch in seiner Sünde Gott nicht in seinem Denken zulassen möchte. Unser natürlicher, sterblicher Zustand beinhaltet ein verdorbenes, verdunkeltes Denken — von Vorurteilen so verdunkelt, dass wir das Fenster nicht einmal einen Spalt weit öffnen möchten, um die Strahlen der Selbstoffenbarung Gottes hineinzulassen. Wir wissen, was auf dem Spiel steht — und wir wissen, dass wir ein Problem haben, wenn wir dieses Wissen an uns heranlassen. 

Die Erkenntnis ist da, aber das Herz weigert sich

Der Apostel Paulus geht in seinem Brief an die Gemeinde in Rom darauf ein. In Römer 1 spricht er davon, dass die unsichtbaren Dinge Gottes anhand der Schöpfung erkannt werden können. Diese Aussage widerspricht dem Skeptizismus und Agnostizismus von Immanuel Kant, denn Paulus sagt, dass wir Gott nicht nur durch die Natur erkennen können, sondern dass wir Gott tatsächlich durch die Natur erkennen.

»Es ist nicht so, dass sie Gott nicht kennen können, sondern dass sie ihn nicht kennen wollen.«
Paulus lehnt die Idee ab, Menschen würden die Existenz Gottes verneinen, weil sie nicht intelligent genug seien, unzureichende Informationen hätten oder weil Gottes Offenbarung in irgendeiner Weise undeutlich sei. Ihr Problem ist kein intellektuelles, sondern ein moralisches. Es ist nicht so, dass sie Gott nicht kennen können, sondern dass sie ihn nicht kennen wollen. Daraufhin sagt Paulus: »Denn Gottes Zorn wird vom Himmel her offenbart über alles gottlose Leben und alle Ungerechtigkeit der Menschen, die die Wahrheit durch Ungerechtigkeit niederhalten« (Röm 1,18).

Dieser Satz löst in vielen Menschen eine starke Reaktion aus. Das Letzte, woran sie glauben wollen, ist ein Gott des Zorns. Viele Theisten leugnen, dass der Gott, an den sie glauben, zornig sein kann. Doch Paulus verwendet hier ein starkes Wort. Es bezeichnet einen heftigen Ausbruch von Leidenschaft. Paulus sagt nicht nur, dass Gott verärgert ist, sondern dass er rasend vor Zorn ist.

Gottes Zorn über Ungerechtigkeit und Gottlosigkeit

In diesem Text ist Gott jedoch nicht über gerechte oder unschuldige Menschen zornig. Sein Zorn offenbart sich vom Himmel her gegen Ungerechtigkeit und Gottlosigkeit. Paulus verwendet hier ein Hendiadyoin. Das ist ein Stilmittel, bei dem zwei unterschiedliche Worte benutzt werden, um das Gleiche auszudrücken. Der Apostel sagt uns, eine ganz bestimmte Sünde führt dazu, dass Gott vor Zorn überkocht — und zwar Ungerechtigkeit und Gottlosigkeit. Es geht um Wahrheit, die durch Ungerechtigkeit niedergehalten wird. Und es ist eine bösartige Unterdrückung der Wahrheit, die Paulus hier beschreibt. Gott ist zornig, weil er den Menschen Erkenntnis gegeben hat, die nicht verschleiert oder unklar ist. Gott hat sich jedem Menschen deutlich offenbart.

»Der wahre Grund für die Leugnung der Existenz Gottes ist folgender: Auch wir sind nackt, und wir wissen es.«
Paulus’ radikale Aussage ist also: Jeder einzelne Mensch weiß, dass Gott existiert, weil Gott sich ihm in der Schöpfung deutlich gezeigt hat. Menschen unterdrücken diese Erkenntnis von Natur aus jedoch und versuchen, sie zu vergraben. Später sagt Paulus: »Sie haben Gottes Wahrheit in Lüge verkehrt und das Geschöpf verehrt und ihm gedient statt dem Schöpfer, der gelobt ist in Ewigkeit« (Röm 1,25). Paulus erklärt diesen Götzendienst, bei dem Wahrheit gegen Lüge eingetauscht wird, zur Ursache jeder bösen Tat, die von gefallenen Menschen begangen wird. 

Die wahre Ursache für Gottesleugnung

Paulus zufolge steckt hinter Atheismus ein psychologisches Bedürfnis. Was wir mehr fürchten als die Natur und mehr als die Bedeutungslosigkeit, ist, dass wir von einem heiligen Gott zur Rechenschaft gezogen werden, denn in der Gegenwart des Heiligen werden wir sofort als unheilig entlarvt. Der Gott der Schrift ist ein Gott, der allwissend ist und damit alles über uns weiß. Er ist ein allmächtiger Gott. Er ist ein vollkommener, heiliger Gott. Noch schlimmer, er ist ein unveränderlicher Gott. Es besteht keine Hoffnung, dass er irgendwann schwach wird und seine Allmacht verliert. Es besteht keine Hoffnung, dass er irgendwann vergessen wird, was wir getan haben. Es besteht keine Hoffnung, dass er in seiner Gerechtigkeit und Heiligkeit Kompromisse eingehen wird, da er unveränderlich heilig, unveränderlich allmächtig und unveränderlich allwissend ist. All diese Dinge werden durch die Schöpfung offenbart, und wir kennen sie von Natur aus. Doch weil das so furchterregend ist, verspüren wir als gefallene Geschöpfe automatisch den Wunsch zu fliehen — genau wie Adam und Eva im Garten geflohen sind und sich im Gebüsch versteckt haben, weil sie nackt und beschämt waren. Das ist das größte Hindernis, das Menschen haben, wenn sie zu einem wahren Verständnis Gottes gelangen wollen. Die Frage nach der Existenz Gottes ist keine Frage des Intellekts. Der wahre Grund für die Leugnung der Existenz Gottes ist folgender: Auch wir sind nackt, und wir wissen es.

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